Neue Bücher aus Norwegen – ein Leseabend
Romane, Erzählungen, Essays von vier Autorinnen
Es ist Bücherfrühling und wir wollen lesen! Zumal diese vier Autorinnen aus Norwegen reichlich Lesetoff mitgebracht haben:
Von Svalbards Kohlegruben und dem Leben des jungen Chirurgen Finn, seiner Frau Eivor und der beiden kleinen Töchter am Rande der Welt handelt Heidi Sævareids im entlegenen Spitzbergen der 1950er Jahre angesiedelter Roman »Am Ende der Polarnacht«.
In ihrem Familienporträt »Zuunterst immer Wolle« lässt Helga Flatland die vielschichtigen Familien- und Beziehungskonstellationen um die Ärztin Sigrid, ihren Partner Aslak, Jens, den Vater ihrer Tochter, sowie ihre Mutter Anne durch wechselnde Erzählperspektiven zutage treten.
Den Tiefen und Untiefen menschlichen Empfindens und Handels widmet sich Marie Aubert in ihren Erzählungen »Kann ich mit zu dir?« über geheime Sehnsüchte und verborgene Gefühle, Grenzüberschreitungen und Tabubrüche.
Ida Lødemel Tvedts bunte wie tiefgehende Essays in »Tiefseetauchen« holen zu weiten Streif- und überraschenden Denkzügen zwischen Europa und Amerika aus, von Steve Bannon über Dolly Parton zu Hannah Arendt, wo sie noch lange nicht enden.
Die Kgl. Norwegische Botschaft lädt ein zu einem langen Leseabend und Gesprächen mit den vier Autorinnen, moderiert von Karoline Hippe und Elke Ranzinger.
Die Autorinnen und Bücher
Marie Auberts Storys »Kann ich mit zu dir?« schildern die kleinen und die großen Lügen, geheime Sehnsüchte und verborgene Gefühle, Grenzüberschreitungen und Tabubrüche: Marie Aubert erzählt davon mit Lässigkeit und Ernst. Da ist zum Beispiel der erschöpfte Vater, der in völliger Überforderung seine kleine Tochter ohrfeigt – und ihr dann voller Scham einbläut, diesen Übergriff ja zu verheimlichen. Da ist die Teenagerin, die nachts mit ihren Freunden ins Haus der Nachbarn eindringt und sich dort einnistet. Menschen, die sich in ihren Erwartungen an das Leben verlieren, die ihre eigenen Wünsche nicht kennen und die der anderen nicht zu sehen vermögen. Sie tun Dinge, für die sie sich schämen, und handeln doch nur aus Sehnsucht nach Liebe, Verständnis und Anerkennung – genauso wie wir alle. »Kann ich mit zu dir?« erscheint im März 2022 bei Rowohlt, übersetzt von Ursel Allenstein und Stefan Pluschkat.
Marie Aubert, geboren 1979 in Oslo, debütierte 2016 mit dem Erzählband »Kann ich mit zu dir?«, der in Norwegen zum Bestseller avancierte und von der Presse gefeiert wurde, ebenso wie »Erwachsene Menschen«, ihr erster Roman.
Helga Flatland zeichnet mit ihrem dieser Tage im Weidle Verlag erscheinendem Roman »Zuunterst immer Wolle« ein Familienporträt so schnörkellos und aus wechselnden Perspektiven, wie man es bereits aus ihrem vorigen Roman »Eine moderne Familie kennt. Sie läßt sich auf ihre Figuren empathisch ein, respektiert aber auch ihre Freiheiten. Und vor allem: Sie urteilt nicht. Denn es kommt ja nicht darauf an, wer woran wann schuld war, sondern einzig darauf: Wie machen wir weiter? Ins Deutsche übersetzt wurde »Zuunterst immer Wolle« von Elke Ranzinger.
Helga Flatland hat norwegische Sprache und Literatur an der Universität Oslo studiert und danach ein Aufbaustudium an der Westerdals School of Communication absolviert. Sie lebt in Oslo. Zuunterst immer Wolle (Et liv forbi) ist ihr sechster Roman. Im Weidle Verlag erschienen: Eine moderne Familie.
Heidi Sævareids gerade im Insel Verlag erscheinenden Roman »Am Ende der Polarnacht« (unser Buch des Monats Februar) bringt uns mit der Familie des jungen Chirurgen Finn, seiner Frau Eivor und den beiden kleinen Töchtern nach Spitzbergen, der nördlichsten Siedlung Europas. In der polardunklen Tundra fallen die Temperaturen unter minus 30 Grad, im Winter kann niemand die Insel verlassen. Als Werksarzt flickt Finn die verletzten Bergarbeiter zusammen, stellt aber bald fest, dass nicht nur ihre Körper kaputtgehen, sondern auch die Psyche. Ein Roman über das Überleben am Rande der Welt, Isolation, die Kraft der Natur – und eine Ehe in der Krise. Am Ende der Polarnacht wurde von Karoline Hippe ins Deutsche übertragen und ist diesen Februar das Buch des Monats der Nordischen Botschaften in Berlin.
Heidi Sævareid, geboren 1984, ist Autorin, Übersetzerin und Literaturkritikerin. Für ihre Jugendromane wurde sie bereits dreimal für den Brage-Preis nominiert. Am Ende der Polarnacht ist ihr erster Roman für Erwachsene und der erste in deutscher Übersetzung. Sie lebt in London.
Ida Lødemel Tvedts schreibt in »Tiefseetauchen« (Kommode Verlag, 2021) ebenso bunt wie scharfsinnig über Ursprungsmythen und Wurzelmetaphern, Einsamkeit und Wahnsinn, über Identitätspolitik und den amerikanischen Mythos, über Objektivierung und das Spiel mit der Lust, inszenierte Feminität, Schuld, Scham und die Kulturgeschichte Adam und Evas, über Steve Bannon und das Theater des Bösen, Stand-up-Comedians, weinerliche Endzeit-Narzisst*innen, die Hure Babylon und wütende Mütter. Lødemel Tvedts Reflexionen bewegen sich in einer Welt – zwischen Europa und den USA, zwischen urbanen Kulissen und weiten Landschaften –, die mal kalt und desillusioniert, mal euphorisch und wohlgesonnen erscheint. Sie setzt sich mit Werken von Susan Sontag, Anne Carson und Gertrude Stein auseinander, untersucht Texte von Ta-Nehisi Coates, Maggie Nelson, Hilton Ale und Claire-Louise Bennett und lässt Stimmen von Simone Weil, Martha Nussbaum, Hannah Arendt, Marquis de Sade, Johann Georg Hamman und Dolly Parton einflieβen. Tiefseetauchen mag auf das Streben nach Tiefe, das Ergründen gesellschaftlicher Ordnungen und Dynamiken hindeuten, doch vielleicht nimmt er auch nur Bezug auf die »maritimen Fantasien« der Autorin. Die Übersetzung von »Tiefseetauchen« besorgte Karoline Hippe.
Ida Lødemel Tvedt, geboren 1987, unterrichtete zuvor Essayistik in Norwegen und den USA, an der New School und der Columbia University. Ihre Arbeiten sind u.a. in Guernica, N+1., Vagant, Vinduet und Daz Magazin erschienen. Derzeit schreibt sie Reportagen für die norwegische Zeitung Dag og Tid. »Tiefseetauchen« ist ihr Debüt.
Die Moderatorinnen
Karoline Hippe lebt als Übersetzerin aus dem Norwegischen, Englischen und Dänischen in Berlin.
Elke Ranzinger studierte Theaterwissenschaft, Nordistik und Neuere Deutsche Literatur in München und Bergen. Am Landestheater Linz brachte sie als Schauspieldramaturgin Stücke von Aristophanes bis Jelinek mit auf die Bühne. 2015 begann sie mit dem Übersetzen. Sie lebt in Berlin. Für den Weidle Verlag übersetzte sie bereits Helga Flatlands Roman »Eine moderne Familie«.
Fotos: Marie Aubert © Agnete Brun, Helga Flatland © Agnete Brun, Heidi Sævareid © Heidi Furre, Ida Lødemel Tvedt © Synne Borgen
Entritt frei, Anmeldung über Eventbrite.
Es gilt 3G, bitte denken Sie an einen Nachweis.
Die Veranstaltung wird gestreamt, und es werden Fotos gemacht. Link zum Livestream.
Am 17. März findet die gleiche Veranstaltung auch im UT Connewitz in Leipzig statt – dort im Rahmen der (abgesagten) Buchmesse, bei der die Nordischen Botschaften traditionell mit dem Nordischen Forum vertreten sind.
Ida Lødemel Tvedt ist am 21. März zudem zu Gast bei Pankebuch in Berlin-Pankow.